Gemäss Schätzungen fallen mehr als 95% der Unternehmen in der Schweiz, die meistens als KMU bezeichnet werden, unter die Bestimmungen für die eingeschränkte Revision.
Sie unterliegen somit der Grundnorm des neuen Rechnungslegungsrechts. Deshalb lohnt es sich abzuklären, wie sich die Anforderungen bezüglich Rechnungslegung entwickeln.
Wenn sich der Umsatz von Einzelunternehmen und Personengesellschaften unter CHF 500 000 beläuft, dann genügen die Anforderungen der Buchführung der neuen Bestimmungen und diejenigen der Rechnungslegung sind nicht zu beachten. Diese vermeintlichen Vereinfachungen können auch Vereine und Stiftungen, die nicht verpflichtet sind, sich ins Handelsregister einzutragen, bzw. Stiftungen, die von der Pflicht zur Bezeichnung einer Revisionsstelle befreit sind, für sich in Anspruch nehmen (Art. 957 revOR). Der Gesetzgeber hält fest, dass die darunterfallenden Unternehmen sich mit einer Buchführung über Einnahmen und Ausgaben sowie über die Vermögenslage begnügen können. Es geht um eine «einfache Buchhaltung» oder um die «Milchbüchleinrechnung», wie dies von der Botschaft bezeichnet wird. Als Stärken und Schwächen einer einfachen Buchhaltung im Sinne von Art. 957 Abs. 3 revOR können hervorgehoben werden:
Vorteile
Zunächst sehr einfach:
- Kassenbuch, Post- und Bankkonten, verbunden mit Belegnachweis
- nur Vermögenszusammenstellung
(Bundesgesetz über die direkten Steuern erlaubte die Methode bereits nach altem Recht für Nichtbuchführungspflichtige, die nur "Aufzeichnungspflichtig" sind)
Nachteile
- Kundenzahlungen und Zahlungen an Lieferanten müssen ausserbuchhalterisch erfasst und kontrolliert werden
- Abschreibungen und deren Fortschreibung müssen ausserbuchhalterisch ermittelt werden
- Bewertungen (Vorräte, Angefangene Arbeiten) müssen ausserbuchhalterisch in der Vermögenszusammenstellung erfolgen
- Durch mangelnde Systematik bedingt grosse Fehleranfälligkeit
- Glaubwürdigkeit gegenüber der Steuerbehörden sinkt
- Ermessensspielraum für Bildung und Auflösung stiller Reserven fällt grösstenteils weg
- Kein Effizienz- und Zeitgewinn
- Kein Führungsinstrument
Der Begriff KMU trifft in diesem Zusammenhang bei Weitem nicht für alle Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als CHF 500 000 zu, welche die Schwellenwerte 20/40/250 unterschreiten. Eingeschlossen sind damit auch Unternehmen von stattlicher Grösse. Diese Unternehmen müssen vor allem formal umdenken, materiell hat sich kaum etwas geändert, da die stillen Willkürreserven wegen der steuerlichen Massgeblichkeit nicht aus der Rechnungslegung verbannt worden sind (1).
Grundlagen und Grundsätze der Rechnungslegung : Bedauerlicherweise entfaltet die Generalklausel von Art. 958 Abs. 1 revOR, die fordert, dass die Rechnungslegung die wirtschaftliche Lage des Unternehmens so darstellen soll, dass sich Dritte ein zuverlässiges Urteil bilden können, keine Wirkung (2). Diese wird durch den weiterhin bestehenden Gestaltungsfreiraum für stille Willkürreserven unterlaufen. Der Geschäftsbericht ist innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf des Jahres zu erstellen und dem zuständigen Organ vorzulegen (Art. 958 Abs. 3 revOR). Neu gilt für alle Rechnungslegungspflichtigen auch, dass die Unternehmungsfortführung vom Unternehmen selbst zu überprüften ist. Um diesen Entscheid zu fällen, muss die Zukunft der nächsten zwölf Monate nach dem Bilanzstichtag eingeschätzt werden (Art. 958 a Abs. 2 revOR). Damit wird eine Bestimmung der IFRS übernommen (3). Fällt die Einschätzung gegen die Fortführung aus, dann ist zu Veräusserungswerten zu bilanzieren und für die mit der Einstellung verbundenen Aufwendungen sind Rückstellungen zu erfassen. Die Tatsache der Nicht-Fortführungsbewertung ist im Anhang offenzulegen und die wirtschaftliche Lage darzulegen. Wer rechnungslegungspflichtig ist, hat Aufwand und Ertrag zeitlich und sachlich abzugrenzen, falls der Nettoerlös aus Lieferungen und Leistungen oder die Finanzerträge CHF 100 000 überschreiten (Art. 958 b Abs. 2 revOR). Die Grundsätze ordnungsmässiger Rechnungslegung sind in Art. 958 c revOR aufgeführt. Das Prinzip «Vorsicht» macht trotz der stillen Reserven Sinn: Es soll Überbewertungen von Aktiven und Unterbewertung von Rückstellungen verhindern. Im Zweifelsfall soll der ungünstigere Wert von zwei möglichen Bewertungen gewählt werden. Da stille Willkürreserven die Stetigkeit untergraben, bleibt der Grundsatz, bei der Darstellung und der Bewertung sollen stets die gleichen Massstäbe verwendet werden, in diesem Sinne toter Buchstabe (4). Eine Anpassung der Rechnungslegung an die Branche wird gefordert (Art. 958 c Abs. 3 revOR). So sollte beispielsweise ein Labor, dessen einzige immaterielle Werte Patente darstellen, die Bilanzposition mit Patenten und nicht mit immateriellen Werten bezeichnen.
Aktiven sind theoretisch einwandfrei definiert : Es muss aufgrund vergangener Ereignisse über den Vermögenswert verfügt werden können, ein künftiger Mittelzufluss muss wahrscheinlich und eine verlässliche Schätzung möglich sein (Art. 959 Abs. 2 revOR). Aufgrund dieser Definition können auch selbst erarbeitete Vermögenswerte in der Bilanz erfasst werden, sofern sie die vorgegebenen Kriterien erfüllen. Hier sollte der Grundsatz «Nachprüfbarkeit» der ordnungsmässigen Buchführung (vgl. Art. 957 a Abs. 2 Ziff. 5 revOR) verhindern, dass nicht erfassbare Ausgaben als originäre Aktiven bilanziert werden. Verbindlichkeiten sind klar umschrieben (Art. 959 Abs. 5 revOR) und zum Nennwert zu bewerten (Art. 960 e Abs. 1 revOR). Auch die Bewertung der Rückstellungen ist geregelt (Art. 960 e Abs. 2 revOR). Weil aber Rückstellungen beispielsweise für «die Sicherung des dauernden Gedeihens des Unternehmens» oder für «Sanierungen von Sachanlagen» gebildet werden dürfen und zudem nicht mehr begründete Rückstellungen nicht aufzulösen sind (Art. 960 e Abs. 3 und 4 revOR), ist die Bildung und Auflösung stiller Reserven ohne Weiteres möglich. Die wichtige Offenlegung der Vorjahreszahlen (Art. 958 d Abs. 2 revOR) gilt jetzt für alle Rechnungslegungspflichtigen und nicht nur für die Aktiengesellschaft.
Währung und Sprache : Während die Buchführung statt in der Landeswährung in der funktionalen Währung erfolgen darf, wird für die Rechnungslegung die Umrechnung in Landeswährung verlangt. Dabei sind die Umrechnungskurse offenzulegen und gegebenenfalls zu erläutern (Art. 958 d Abs. 3 und 4 revOR). Es stellt einen Mangel dar, dass hier nicht auf anerkannte Umrechnungsgrundsätze verwiesen wird (5).
Erfassung von Aktiven : «Als Aktiven müssen Vermögenswerte bilanziert werden, wenn aufgrund vergangener Ereignisse über sie verfügt werden kann, ein Mittelzufluss wahrscheinlich ist und ihr Wert verlässlich geschätzt werden kann. Andere Vermögenswerte dürfen nicht bilanziert werden.» (6). Damit sind Aktiven rascher zu erfassen als bisher, weil es nur wahrscheinlich sein muss, dass Mittel zufliessen. Bei den IFRS dürfen hingegen beispielsweise von einer Versicherung zu vereinnahmende Rückvergütung für Schäden erst dann erfasst werden, wenn sie fast sicher ausbezahlt werden (7); selbst erstellte immaterielle Anlagen erst bei Erfüllung von sechs Kriterien erfasst werden (8).
Mindestgliederung : Bilanz und Erfolgsrechnung sind entweder in Konto- oder in Staffelform darzustellen (Art. 958 d Abs. 1 revOR). Für die Bilanz und die Erfolgsrechnung besteht neu auch rechtsformunabhängig eine vernünftige Mindestgliederung, die mit dem Kontenrahmen KMU im Einklang steht und konsistent mit Swiss GAAP FER 3 Darstellung und Gliederung ist (9). Allerdings bleibt es anlageintensiven Unternehmen verboten, das Anlagevermögen bzw. das Eigenkapital vor das Umlaufvermögen bzw. das Fremdkapital zu stellen. Um Übereinstimmung mit FER zu erzielen, sind die flüssigen Mittel und die Wertschriften zu trennen und die kurzfristigen Rückstellungen aus den übrigen kurzfristigen Verbindlichkeiten auszugliedern. Als positiv zu werten ist die Tatsache, dass kumulierte Verluste und eigene Kapitalanteile jetzt auch im revOR als Negativposten im Eigenkapital aufzuführen sind. Nur so wird eine Überschuldung evident. Obwohl eigene Kapitalanteile neu das Eigenkapital vermindern, sind die Vorschriften über die Bildung und Auflösung der Reserve für eigene Aktien (Art. 659 a Abs. 2 und 671 a OR) stehen geblieben. Dabei handelt es sich um einen Fehler, und die Praxis wird zeigen, wie damit umgegangen wird. Eine alleinige Anwendung der neueren Regelung wäre vorzuziehen, weil die Gliederungsvorschrift diese Reserve für eigene Aktien nicht vorsieht (allerdings sieht die Gliederungsvorschrift die Aufwertungsreserve bei Aufwertung von Grundstücken oder Beteiligungen im Rahmen einer Beseitigung einer Unterbilanz gemäss Art. 670 OR auch nicht vor).
Die Erfolgsrechnung ist ebenfalls mit dem Kontenrahmen KMU kompatibel (10). Dagegen wird aus Sicht der Swiss GAAP FER der Ausweis des betrieblichen Ergebnisses (EBIT) und der übrigen betrieblichen Erträge vermisst. Der Spielraum bezüglich ausserordentlichen und betriebsfremden Posten könnte genutzt werden, um Unliebsames aus der ordentlichen Rechnung zu verbannen, weil diese Posten im Gegensatz zu den Swiss GAAP FER nicht definiert sind (11). Die Erfolgsrechnung darf sowohl als Produktionserfolgsrechnung, wie bei den KMU üblich, als auch als Absatzerfolgsrechnung aufgestellt werden. In diesem Fall sind die Positionen Personalaufwand, Abschreibungen und Wertberichtigungen im Anhang auszuweisen (Art. 959 b Abs. 4 revOR).
Neuland bedeutet für die KMU das Erfordernis, im Anhang über Ereignisse nach dem Bilanzstichtag zu berichten (Art. 959 c Abs. 2 Ziff. 13 revOR). Hier muss das Know-how erworben werden bezüglich Ereignissen, die noch im Abschluss zu berücksichtigen sind, solchen, die lediglich im Anhang Erwähnung finden, und solchen, die überhaupt nicht zu berücksichtigen sind. In diesem Zusammenhang könnten die klaren Vorschriften der Swiss GAAP FER helfen (12). Die zwingende Mindestgliederung kann für KMU eine Herausforderung darstellen.
Bewertung : Aktiven und Verpflichtungen sind einwandfrei definiert. Das Anschaffungswertprinzip wird zwar als Prinzip verankert (Art. 960 a Abs. 1 revOR), aber durch die Möglichkeit, stille Reserven zu bilden, unterlaufen. Bei den Aktiven können solche Reserven zu «Wiederbeschaffungszwecken» und zur «Sicherung des dauernden Gedeihens des Unternehmens» (Art. 960 a Abs. 4 revOR) und bei den Rückstellungen zur «Sicherung des dauernden Gedeihens des Unternehmens» sowie «für Sanierungen von Sachanlagen» (Art. 960e revOR) gebildet werden. Die KMU brauchen also keine Befürchtungen zu hegen, ihre Bewertungsfreiheit würde eingeschränkt. Ursache ist die unumstössliche Massgeblichkeit der handelsrechtlichen Jahresrechnung für die Steuererhebung. Begrüssenswert sind der Grundsatz der Einzelbewertung, falls bei dieser Position die Zusammenfassung in Gruppen nicht üblich ist (Art. 960 Abs. 1 revOR), und die Weiterführung des Grundsatzes, bei Anzeichen einer Überbewertung von Aktiven oder einer Unterbewertung einer Rückstellung den Wert zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen (Art. 960 Abs. 3 revOR).
In der Folgebewertung ist es möglich, für Aktiven mit einem beobachtbarem Marktpreis in einem aktiven Markt, Marktpreise für die Bewertung zu wählen, mit oder ohne Schwankungsreserve (Art. 960 b revOR). Dabei handelt es sich um eine Neuerung für KMU, die kaum weiter beschrieben ist. Die aktuelle Situation entstand, weil das Parlament – entgegen der Botschaft, die nur aktuelle Bewertung für Aktiven mit Börsenkurs zulassen wollte – diese Öffnung zu Markt- werten, die ermittelt werden müssen, beschloss (13). Nach IFRS 13 wird über 160 Seiten ergründet, wie Marktpreise ohne Börsenkurs zu berechnen sind. IFRS 13 hält in Appendix A bei den Definitionen fest:
«Fair Value ist der Preis, der im Zuge eines geordneten (normalen) Geschäftsvorfalls unter Marktteilnehmern am Bemessungsstichtag beim Verkauf eines Vermögenswerts erzielt würde (…)» «Auf einem aktiven Markt treten Geschäftsvorfälle mit dem Vermögenswert oder der Schuld mit ausreichender Häufigkeit und Volumen auf, sodass fortwährend Preisinformationen zur Verfügung stehen.»
Swiss GAAP FER schreibt vor, in welchen Fällen aktuelle Werte möglich sind:
- Wertschriften des Umlaufvermögens (zwingend)
- Renditeliegenschaften (Option)
- im Finanzanlagevermögen ausgewiesene Wertschriften (neue Option)
- Derivaten ohne Absicherungszwecke (zwingend)
- Derivate zu Absicherungszwecken (neue Option)
- im Falle des Wertberichtigungstest (zwingend)
- und definiert, was darunter zu verstehen ist (14). Aktuelle Werte sind der Tageswert (Preis, der im normalen Geschäftsverlauf entrichtet werden müsste), Netto-Marktwert (Verkaufspreis, der unter Sachverständigen, voneinander unabhängigen Geschäftspartnern vereinbart wird, abzüglich Verfügungskosten), Nutzwert (Barwert der zu erwartenden zukünftigen Nettogeldzu- und -abflüsse) oder der Liquidationswert. Nach revOR erlaubt der Gesetzgeber die Anwendung solch unbestimmter Marktwerte ohne Leitplanken. Auch hier wird die Praxis zeigen, wie die Vorschriften umgesetzt werden (können). Vor dem Hintergrund der neuen Rechnungslegungsbestimmungen spricht nichts gegen die Bewertung von Liegenschaften zum Verkehrswert, falls es sich um einen beobachtbaren Marktpreis in einem aktiven Markt handelt. Die Frage ist, welche Bewertungsmethode gewählt werden soll: Discounted-Cashflow-Methode (vgl. nachfolgendes Beispiel) oder die Vergleichswertmethode (15).
Immobilienbewertung; DISCOUNTED-CASHFLOW-METHODE (DCF) | ||||||||
Ausgangslage (es handelt sich um eine Renditeliegenschaft an bester Lage) |
||||||||
Diskontsatz 3,5% (Bundesobligationen 0,72%) | Jahre | |||||||
1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | |
Cashflows (Jahr 8 = Marktwert) |
17 | 13 | 19 | 18 | 15 | -1 | 14 | 320 |
Barwerte | 16.4 | 12.1 | 17.1 | 15.7 | 12.6 | -0.8 | 11.0 | 243.0 |
Barwert DCF total | 327.2 |
Bei der Discounted-Cashflow-Methode sind der Diskontsatz, die geschätzten Cashflows und der Endwert von Ermessen geprägt. Die Vergleichsmethode wird fast ausschliesslich zur Bewertung von Land genutzt. Die Ab- und Zuschläge zu bekannten m2-Preisen sind mit einer gewissen Willkür behaftet, die sich nicht eliminieren lässt. Aus diesen Gründen sollte den KMU davon abgeraten werden, sich auf diesem Glatteis zu bewegen.
Werden beobachtbare Marktpreise gewählt, so ist die Stetigkeit zu beachten und die Marktpreisbewertung mit den nötigen Aktualisierungen beizubehalten. Weil so viele Unwägsamkeiten inhärent sind, würde diese Bewertung bei Immobilien einen Schätzungsexperten bedingen, was mit Kostenfolgen verbunden ist. Das grösste Hindernis bleibt die Massgeblichkeit des handelsrechtlichen Abschlusses. Bei den Direkten Bundessteuern sind solche Aufwertungen über den Anschaffungswert hinaus nach dem Verbuchungsprinzip steuerpflichtig und vergrössern den steuerbaren Erfolg, bei Kantonen mit monistischem System werden diese Aufwertungen über den Anschaffungswert hinaus erst im Rahmen eines allfälligen Grundstückgewinns bei Veräusserung erfasst. Wahrscheinlich wäre es statthaft, von der Stetigkeit der Bewertung abzuweichen und aktuell zu bewerten, um Verluste steuerlich verrechnen zu können. Das Unternehmen müsste allerdings anschliessend stetig aktuell bewerten.
Die Zulässigkeit von Schwankungsreserven bis zum ursprünglichen Anschaffungswert bildet einen weiteren Kritikpunkt (16). Bei den grossen Differenzen zwischen den Anschaffungs- und den Marktwerten alter Liegenschaften an bester Lage kann eine Lücke klaffen, die den Anschaffungswert um ein Vielfaches übersteigt. Mit den Schwankungsreserven wird die aktuelle Bewertung unterlaufen.
Erste Stufe im dritten Abschnitt des 32. Titels des revOR : Falls ein grösseres Unternehmen infolge Zugehörigkeit zu einem Konzern auf die zusätzlichen Angaben im Anhang verzichtet, können Minderheiten (Aktionäre, die zusammen mindestens eine Beteiligung von 10% am Aktienkapital halten, 10% aller Genossenschafter oder 20% der Vereinsmitglieder) dennoch eine Rechnungslegung für grössere Unternehmen verlangen (Art. 961 d Abs. 2 revOR). Das Gesetz erwähnt zudem Gesellschafter oder Mitglieder mit persönlicher Haftung oder mit Nachschusspflicht. Letztere kann bei einer Genossenschaft und einer GmbH bestehen. Bei Vereinen können die Statuten bestimmen, dass Mitglieder der persönlichen Haftung unterliegen.
Zweite Stufe im vierten Abschnitt des 32. Titels des revOR : Die Minderheits-Bestimmungen für den anerkannten Standard treffen für alle Unternehmen zu. Beim Abschluss nach anerkanntem Standard bleiben die obigen Schwellenwerte, lediglich die Beteiligung von Aktionären oder GmbH-Gesellschaftern muss statt 10 insgesamt 20% ausmachen (Art. 962 Abs. 2 revOR). Das Gesetz erwähnt zudem Gesellschafter oder Mitglieder mit persönlicher Haftung oder mit Nachschusspflicht. Diese Minderheitsrechte sind bedeutsam. Eine Minderheitsaktionärin eines Familienunternehmens, die einen Anteil von 20% am Aktienkapital hat, kann einen Kern-FER Abschluss erzwingen.
Dritte Stufe im fünften Abschnitt des 32. Titels des revOR : Eine Pflicht zur Erstellung einer Konzernrechnung kann nur für juristische Personen bestehen (Art. 963 Abs. 1 revOR). Unter gewissen Voraussetzungen ist die juristische Person von der Erstellungspflicht befreit. Hingegen besteht dennoch die Pflicht, wenn es für die möglichst zuverlässige Beurteilung der wirtschaftlichen Lage notwendig ist oder zum Schutz von Minderheiten. Für die Konzernrechnung gelten die folgende Schwellenwerte: Aktionäre, die zusammen mindestens eine Beteiligung von 20% am Aktienkapital halten, 10% aller Genossenschafter oder 10% der Vereinsmitglieder. Das Gesetz erwähnt weiter Gesellschafter oder ein Vereinsmitglied mit persönlicher Haftung oder mit Nachschusspflicht und die Stiftungsaufsichtsbehörde (Art. 963 a Abs. 2 revOR).
In Bezug auf die stillen Reserven hat sich für diese Unternehmen keine Änderung ergeben. Dagegen können jetzt Aktiven rascher in der Bilanz erfasst werden und Aktiven mit beobachtbaren Marktpreisen in einem aktiven Markt können optional aktuell bewertet werden, mit den impliziten steuerlichen Konsequenzen. Bei Anzeichen ist die Bewertung von Aktiven und Rückstellungen zu prüfen. Neu ist, dass auch KMU in der Rechtsform einer Einzelunternehmung oder Personengesellschaft eine zweckdienliche Mindestgliederung von Bilanz und Erfolgsrechnung in Konto- oder Staffelform umsetzen müssen, sofern sie nicht die Milchbüchleinrechnung anwenden können und dies auch tun. Für alle KMU, unabhängig ihrer Rechtsform, welche der Rechnungslegung unterstehen, gilt es, Rechnungslegungsgrundsätze zu wahren, soweit diese z. B. wegen der stillen Reserven ihre Rechtskraft entfalten können. Wenn ein KMU vorwiegend im EU-Raum tätig ist, kann auch in Euro Rechnung gelegt werden, allerdings mit gewissen Offenlegungskonsequenzen.
Bedingt durch die Massgeblichkeit des handelsrechtlichen Abschlusses für die Steuerbemessung besteht noch immer die Möglichkeit, stille Reserven bilden und auflösen zu können. Es müsste möglich sein, dereinst die Steuergesetzgebung so zu ändern, dass neben dem handelsrechtlichen auch ein steuerrechtlicher Abschluss besteht. Nur wenn das in ferner Zukunft gelingt, könnte das Recht, stille Willkürreserven bilden zu dürfen, gekippt werden. Bis dahin sehen die Autoren lediglich eine Lösung für eine wirklich zuverlässige Beurteilung der Jahresrechnung: Den freiwilligen Abschluss nach den Bestimmungen der Kern-FER.
Das Parlament hat beschlossen, den Abschluss nach anerkanntem Standard zur Rechnungslegung als Zweitabschluss erstellen zu lassen (Art. 962 Abs. 1 revOR). Überdies kann mit einem Zweitabschluss erreicht werden, dass die durch die Steuerbehörden gewährten Zusatzabschreibungen realisiert werden können. Mit wenig Mehraufwand kann darüber hinaus eine True-and-Fair-Jahresrechnung – neben der durch Steuerpolitik geprägten handelsrechtlichen – in Übereinstimmung mit den Kern-FER als eine verlässliche Basis für die Unternehmungsführung erstellt werden. Diese Jahresrechnung kann auch für die Nachfolgeplanung und Kapitalbeschaffung dienen. Die freiwillig erstellte Jahresrechnung nach anerkanntem Standard zur Rechnungslegung ist aber voraussichtlich ordentlich zu prüfen. Nur mit dem Prüfungsurteil versehen, werden Kapitalgeber diese Jahresrechnung akzeptieren.
Mit der neuen Rechnungslegung sind Fortschritte erzielt worden, aber der Sprung zur True and Fair View konnte bei den heutigen Gegebenheiten nicht gelingen. Ein KMU ist also auf die zusätzliche Kern-FER-Jahresrechnung angewiesen.
- Vgl. Peter Böckli: Auswirkungen der neuen Rechnungslegung auf die Gewinnsteuer, in: Der Schweizer Treuhänder 2011/4, S. 234–235
- Weniger negativ sehen das: Marco Passardi/Silvia Passardi-Allmendinger: Das neue Rechnungslegungsrecht – eine «neue doppelte Buchhaltung»?, in: Trex 2/12, p. 72
- Vgl. International Accounting Standards Board (2012): Official Pronouncements issued at 1st January 2012, IAS 1, Presentation of Financial Statements, paragraphes 25 et 26
- Vgl. zum Verhältnis von Stetigkeit und stillen Reserven das HWP, 2009, S. 52, 63 et 67
- Vgl. Pfaff, Dieter/Glanz, Stephan: Das zukünftige Rechnungslegungsrecht, in: Rechnungswesen und Controlling, 2/12, p. 10
- Art. 959, Abs. 2, revOR.
- Vgl. IAS 37, Paragraph 53
- Vgl. IAS 38, Paragraph 57
- Vgl. Teitler-Feinberg: Was das neue Rechnungslegungsgesetz für die KMU beinhaltet, in: Trex 2/2012, S. 84
- Vgl. Sterchi, Walter, Die Auswirkungen der Rechnungslegung auf KMU. Schriftliche Unterlagen einer Präsentation am Kammer-Seminar vom 31.10.2006, Folie 6
- Vgl. Böckli Peter, Das neue OR-Rechnungslegungsrecht, in: Der Schweizer Treuhänder 2010/4, S. 164
- Vgl. Swiss GAAP FER Rahmenkonzept R/28 und HWP (2009), S. 299
- Vgl. Zihler Florian: Das zukünftige Rechnungslegungsrecht, in: Der Schweizer Treuhänder 2011/1–2, S. 44 und für die parlamentarische Diskussion im Nationalrat vom 1. Juni 2011 ad Art. 960 b rev OR: http://www.parlament.ch/ab/frameset/d/n/4819/354701/d_n_4819_354701_354748.htm abgerufen am 15.8.2012
- Vgl. Stiftung für Fachempfehlungen zur Rechnungslegung, Rahmenkonzept Ziff. 26
- Zu einer Kurz-Darstellung dieser Methode, vgl. Behr Giorgio, Rechnungslegung und Bewertung von Immobiliengesellschaften, in: Der Schweizer Treuhänder 2001/3, S. 219–224
- Vgl. Teitler-Feinberg, Evelyn, Bescheiden und teils nicht durchdacht, in: UZ|Management, 3/2012, S. 49
Dieser Beitrag ist ein Auszug einer im Schweizer Treuhänder 2012/11, S. 834-843 erschienen Publikation.
Autoren dieses Beitrages: Daniel Suter / Evelyn Teitler-Feinberg