Ergibt sich aus der Bilanz einer Aktiengesellschaft (sowie ebenfalls GmbH oder Genossenschaft) eine Überschuldung – dies bei Bewertung sowohl zu Fortführungs- als auch Liquidationswerten – und sind keine sofortigen Sanierungsmassnahmen, wie zum Beispiel der Einschuss von neuen Mitteln oder ein Rangrücktritt durch einen Gesellschaftsgläubiger, möglich, muss das Leitungsorgan beim zuständigen Gericht eine Überschuldungsanzeige machen.
In der Praxis ergibt sich eine Überschuldungssituation in der Regel nicht aus heiterem Himmel. Vor der Überschuldung hat das Unternehmen oftmals ein Ertragsproblem und mit diesem ein strategisches Problem, welches sich aus einer schlechten Einschätzung des unternehmerischen Umfelds und seiner Produkte bzw. Leistungen ergeben hat. Die Vermögenssubstanz nimmt schleichend ab (man zerrt von den Reserven) und die Liquidität verschlechtert sich kontinuierlich. Oft ignorieren gerade erfolgreiche Unternehmen die Alarmsignale und eine nachhaltige Verschlechterung der Geschäfte und Wettbewerbsfähigkeit.
Wenn in einer Unternehmenskrise die Eigentümer die Möglichkeit haben mit Einschuss von neuen Mitteln und geeigneten weiteren Massnahmen die Situation zu korrigieren, kann die Krise meistens schnell und ohne grösseren Schaden überwunden werden. Da eine Krise selten alleine kommt, haben die Eigentümer oft gerade auch in dem Zeitpunkt Probleme auf Ebene ihrer privaten Vermögenssituation, wenn zusätzliche Mittel dem eigenen Unternehmen zur Verfügung gestellt werden müssen. Vielleicht hat man bereits seit längerer Zeit kontinuierlich Einschüsse gemacht und will nun nicht das Risiko eingehen, am Ende alles verlieren zu können. Eine typische Situation einer KMU-Krise, wo man sich plötzlich mit dem Rücken zur Wand steht. In diesem Moment bleiben drei Handlungsoptionen offen:
- Die Erwägung eines Nachlassverfahrens nach Art. 293 ff SchKG (Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz)
- Überschuldungsanzeige mit gleichzeitigem Antrag/Gesuch auf Konkursaufschub
- Überschuldungsanzeige mit Konkurseröffnung durch den Richter
Die zweite Möglichkeit ist nicht sehr bekannt und wird zuwenig als gangbaren Weg in Betracht gezogen. Dies obschon der Gesetzgeber mit Art. 725a ausdrücklich die Möglichkeit eines Aufschubs des Konkurses vorsieht. Ein Weg, der komplett ausserhalb der komplizierten und sehr formellen Möglichkeiten des SchKG (Nachlassverfahren) beschritten werden kann. Der Konkursaufschub ist allerdings nur bei "sanierbaren" Unternehmen möglich. Die Grundidee dieser Gesetzesvorschrift ist den Konkurs einer Gesellschaft zu vermeiden, wenn deren Sanierung mindestens möglich erscheint. Der Aufschub ist ein Moratorium und erlaubt dem überschuldeten Unternehmen mit „Einfrierung“ der alten Schulden über einen gewissen Zeitraum sich finanziell wieder zu erholen und die zwangsweise und definitive Liquidation durch den Konkurs zu vermeiden.
Der Richter kann einen Konkursaufschub nur bewilligen, wenn seitens des Verwaltungsrats (oder eines Gläubigers) ein entsprechendes Gesuch erfolgt sowie die Sanierung auch möglich scheint. Dazu müssen die noch vorhandenen Geschäftsaktiven bewahrt werden können, d.h. durch Fortführung der Geschäftstätigkeit darf sich voraussichtlich keine weitere bzw. unabwendbare Verschlechterung der Überschuldungssituation ergeben. Diese Bedingung kann grundsätzlich nur erfüllt werden, wenn die im Antrag auf Konkursaufschub vorgeschlagenen Sanierungsmassnahmen glaubhaft und geeignet sind, die Überschuldung im vorgesehenen Zeitrahmen zu eliminieren und mittelfristig wieder Gewinn zu erzielen. Der Aufschub des Konkurses muss letztendlich für die Gesellschaftsgläubiger eine bessere Lösung sein als ein sofortiger Konkurs. Wenn dies voraussichtlich nicht der Fall ist, muss der Richter den Konkurs eröffnen.
Es ist zu beachten, dass ein Konkursaufschub grundsätzlich nicht mehr möglich ist, wenn der Verwaltungsrat eine Insolvenzerklärung nach Art. 191 SchKG gemacht hat, wenn die Revisionsstelle den Richter benachrichtig (offensichtliche Überschuldung und der Verwaltungsrat unterlässt die Benachrichtigung des Richters) oder in eingeleitetem Konkursverfahren. In diesen Fällen bleibt primär nur noch der Weg des Nachlassverfahrens (vergl. Art. 173a SchKG). Es ist also sehr wichtig rechtzeitig zu handeln, wenn in Betracht gezogen wird einen Konkursaufschub zu beantragen.
Der Antrag um Konkursaufschub muss nicht unbedingt gleichzeitig mit der Überschuldungsanzeige erfolgen. In der Praxis kommt es auch vor, dass der Antrag erst später eingereicht wird – was jedoch ausdrücklich nicht empfohlen wird. Die Frage ob der Antrag auch nach Eröffnung des Konkurses eingereicht werden kann ist in der Lehre kontrovers. Gemäss PETER/PEYROT1) kann ein Antrag um Konkursaufschub in diesem Fall nur noch über Rekurs/Beschwerde gegen die verfügte Konkurseröffnung, innerhalb der Frist von 10 Tagen nach Art. 174 Abs. 1 SchKG, gestellt werden.
1) PETER/PEYROT, l’ajournement de la faillite dans la jurisprudence des tribunaux genevois
Wenn der Richter – unter Berücksichtigung der positiven Elemente und der realistischen Aussicht auf Sanierung – den Aufschub des Konkurses gewähren kann, dies immer auch mit Massnahmen zum Schutz des noch vorhandenen Vermögens, wird er einen Sachwalter einsetzen und diesem in seinem Entscheid Überwachungs- oder sogar Verwaltungstätigkeiten anordnen, die sehr präzis oder auch recht allgemeine formuliert sein können. So kann ein Entscheid dem Sachwalter beispielsweise etwa folgende Aufgaben statuieren:
- Überwachen der Tätigkeiten der Gesellschaft im Konkursaufschub (Schludnerin)
- Analysieren und überprüfen der Machbarkeit eines Sanierungsplanes
- Alle notwendigen Massnahmen zum Schutz der Aktiven der Schuldnerin vornehmen
- Kontrollieren/Überwachen ob die Betriebskosten gedeckt sind
- Überwachung der Gleichbehandlung der Gläubiger
- Genehmigung von Entscheiden des Verwaltungsrats, die weiter gehen als die allgemeine Geschäftsführung (z.B. für eine grössere Investition oder Desinvestition)
- Information der Gläubiger und zukünftigen Gläubiger über die Existenz des Konkursaufschubs
- Die Eingabe eines Berichts 10 Tage vor Ablauf der Aufschubs-Frist
- Rechtzeitige Information des Gerichts im Fall wo sich die Sanierungsaussichten als inexistent herausstellen oder wenn die Betriebskosten nicht mehr durch die laufende Betriebstätigkeit oder andere Mittel gedeckt sind
Der Richter ist in der Wahl des Sachwalters frei. Neben den beruflichen Kompetenzen, ist die Unabhängigkeit des Sachwalters von der Schuldnerin sicher ein wichtiges Kriterium.
Der Sachwalter eines Konkursaufschubs befindet sich in einer sehr speziellen Situation. Auf der einen Seite ist er „Agent“ und Experte des Richters und hat so eine Überwachungs- und Kontrollfunktion zum Schutze der Gläubigerinteressen. Auf der anderen Seite muss er einen guten Kontakt mit den zuständigen Personen der Schuldnerin erstellen können, die zur Rettung ihres Unternehmens ebenfalls seine Unterstützung erwarten. Mit seiner Fachkompetenz und Erfahrung muss der Sachwalter fähig sein zwischen den zwei Interessen-Pools und letztendlich im Interesse der gesamten Sache, das immer darin besteht Schaden zu minimieren und eine bessere Lösung als ein Konkurs zu erreichen, navigieren zu können. Der Handlungsspielraum des Sachwalters bleibt aber klein. Wenn die laufenden Betriebskosten nicht mehr durch laufende Erträge gedeckt sind und sich die Überschuldungssituation der Schuldnerin verschlechtert, muss er ohne zu zögern den Richter benachrichtigen.
In seiner Funktion untersteht der Sachwalter grundsätzlich einer Verantwortung im Sinne von Art. 754 Abs. 1 OR. Die genaue Position und die Frage der Verantwortung bei der Ausübung seiner Tätigkeit sind aber nicht sehr klar. Der Sachwalter hat sicher Interesse bei all seinen Vorkehrungen sehr vorsichtig zu agieren.
Bei Aufnahme seiner Funktion wird sich der Sachwalter zuerst ein genaues Bild über die Überschuldungssituation und allgemeine wirtschaftliche Lage des Unternehmens in Schwierigkeiten machen. Er wird ebenfalls überprüfen, ob die Angaben im Antrag auf Konkursaufschub effektiv der Realität entsprechen.
Es müssen ebenfalls die genauen Salden/Bestände der Gläubiger im Moment der Gewährung des Aufschubs festgehalten werden.
Um schliesslich zu überwachen, dass sich die Situation der Gläubiger während der Fortführung der Betriebstätigkeit nicht verschlechtert – respektive die Passiven bzw. die Überschuldung nicht zunimmt – wird der Sachwalter mit den zuständigen Personen der Schuldnerin vor Ort ein einfaches und effizientes Kontrollsystem aufbauen. Eine straffe Verwaltung der Finanzen, basierend auf einer praktisch tagwertigen Buchhaltung mit entsprechenden Auswertungen, ist in einer solchen Krisensituation unverzichtlich. Bei einem kleineren Unternehmen muss ebenfalls dessen Treuhandstelle einbezogen werden, die auf Basis der bereits vorhandenen Buchhaltungsunterlagen zusätzliche analytische Auswertungen erstellen kann, wie:
- Liquiditätsstatus / Nettoumlaufvermögen;
- Kurzfristige Erfolgsrechnung;
- Offene-Posten/Fälligkeitsliste (Debitoren/Kreditoren).
Es muss immer wieder beachtet werden, dass die Hauptaufgabe des Sachwalters im Konkursaufschub darin besteht zu überwachen, dass einerseits die noch vorhandenen Vermögenswerte erhalten bleiben und andererseits die Betriebskosten während dem gewährten richterlichen Moratorium gedeckt sind. Die zwei Sachverhalte verhalten sich im Prinzip reziprok. Solange nämlich die Betriebskosten gedeckt sind, nehmen in der Regel die Aktiven, zumindest kurzfristig betrachtet, auch nicht ab.
Mit detaillierter Planung der minimalen Betriebskosten kann der Sachwalter mit der Schuldnerin und dessen Treuhandstelle den notwendigen Monatsumsatz zur Deckung der laufenden Kosten und Vermeidung einer Verschlechterung der Liquidität auf Ebene Nettoumlaufvermögen ermitteln.
In seinem Schlussbericht liefert der Sachwalter dem Richter die notwendigen Informationen, damit dieser seinen Kenntnisstand über die aktuelle finanzielle Lage sowie die getroffenen Sanierungsmassnahmen korrekt anpassen kann. Wenn die finanziellen Probleme der Schuldnerin noch nicht behoben werden konnten, sei dies durch Einschuss neuer Mittel oder auch einfach durch die wiederum gewinnbringende Betriebsfortführung, kann die Schuldnerin einen Antrag auf Verlängerung des Aufschubs stellen. Wenn die finanzielle Entwicklung positiv ist, kann der Sachwalter in seinem Schlussbericht festhalten, dass es aus seiner Sicht keine Gründe zum Wiederruf des Aufschubes gibt. Mittels Entscheid kann dann der Richter den Konkursaufschub für eine bestimmte Periode verlängern.
Ohne Antrag auf Verlängerung des Aufschubes und gezwungenermassen ebenfalls, wenn eine Verschlechterung der Situation offensichtlich ist, kann der Richter den Konkurs über die Schuldnerin sofort eröffnen.
Der Konkursaufschub kann für eine notleidende und überschuldete Gesellschaft als Verfahren der letzten Chance innerhalb des Privatrechts bezeichnet werden, dies aber immer nur im Fall, wo die Sanierung im Voraus auch möglich erscheint. Es handelt sich um ein sehr informelles, diskretes (wenn der Aufschub nicht publiziert wird) und flexibles Verfahren. Neben den rein wirtschaftlichen Faktoren, wie eine Neufinanzierung, eine allgemeine Restrukturierung, die Umsatzentwicklung, etc. ist der Wille und die Glaubwürdigkeit des Leitungsorgans, des sich in der Krise befindenden Unternehmens, entscheidend, ob der Konkurs quasi in extremis noch abgewendet werden kann.
Ein Unternehmen, das in der Vergangenheit gut geführt wurde und sich aus praktisch nicht voraussehbaren Gründen (wie z.B. die Entwertung des Euros im Verhältnis zum CHF, der Insolvenz eines Grosskunden, Verschlechterung des Geschäftsganges bedingt durch rein externe Faktoren, etc.) in einem Kapitalverlust und einer Überschuldung befindet, kann sich im Prinzip innerhalb einer gewissen Zeitspanne selber wieder sanieren – vorausgesetzt immer, dass die rein wirtschaftlichen und externen Faktoren nicht unüberwindbare Probleme stellen.
Autor dieses Beitrags: André Bolla