Korruption im Beschaffungswesen

Der Fall "INSIEME" in der eidgenössischen Steuerverwaltung hat gezeigt, dass die Bestimmungen des Bundesgesetzes über das Beschaffungswesen in Bezug auf ein wichtiges Informatikprojekt auf der höchsten Stufe dieser Verwaltung bewusst ignoriert wurden. Es versteht sich von selbst, dass ein solcher Fall auch jede KMU betreffen kann, die im öffentlichen Sektor tätig ist.

In der Tat schreibt das Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB), das in Ausführung des im Rahmen der Welthandelsorganisation abgeschlossenen multilateralen Abkommens über das Beschaffungswesen erlassen wurde, in seinem Artikel 6 ein öffentliches Vergabeverfahren vor, sobald der Auftrag einen Wert von 230 000 Franken erreicht. Es bestimmt ferner (Art. 7), dass ein Auftrag nicht in der Absicht aufgeteilt werden darf, die Anwendbarkeit des Gesetzes zu umgehen. Genau das wurde aber im betreffenden Fall getan. Da das Gesetz diesbezüglich aber keinen Zweifel erlaubt, muss man annehmen, dass die Aufteilung des Marktes vor allem der Verschleierung des Verstosses gegen das Gesetz und nicht der Rechtfertigung desselben dienen sollte. Eine Administrativuntersuchung, geleitet vom Generalsekretär und vom Vorsteher des Rechtsdienstes des eidgenössischen Finanzdepartements, hat gezeigt, dass die Wahl eines abgekürzten Verfahrens durch die Verwaltung nicht nur in einen Zeitgewinn, sondern auch in gefährliche Verbindungen ausmündete. So ergab sich, dass zwei Dienstleister, die dem Verantwortlichen für die Informatikprojekte nahe standen, unüblich hohe Margen erzielten, obgleich ihre Dienstleistung hauptsächlich in der Vermittlung von Personal bestand, das auch direkt von der Verwaltung hätte beauftragt werden können. Genau solche Begebenheiten, denen ein starker Verdacht von Begünstigung anhaftet, soll das Gesetz über das Beschaffungswesen verhindern.

Es ist anzunehmen, dass diese Ereignisse in der eidgenössischen Verwaltung kein Einzelfall sind. Ein öffentliches Verfahren ist aufwendig und die Versuchung ist gross, sich einem solchen Verfahren zu entziehen, wenn die Zeit drängt. Auch die Vorstellung, dass öffentliche Aufträge neutral vergeben werden sollen, ist im helvetischen Kontext eher neu. Es ist nicht so lange her, dass die lokalen Behörden systematisch lokale Unternehmen bevorzugten. Dieser Mangel an Sensibilität lebt sogar auf höchster Stufe weiter, hat es doch ein Mitglied des Bundesrates jüngst für ganz normal gehalten, eine ihm nahe stehende Person für einen wichtigen Posten vorzuschlagen.


Die Formen der Korruption im öffentlichen Beschaffungswesen Nepotismus oder Favoritismus kennt man in der Schweiz unter der Bezeichnung «Vetterliwirtschaft». Es handelt sich um eine Korruptionsform, die ohne geeignetes Gesetz besonders schwer nachzuweisen ist. Das Beschaffungswesen bietet in der Tat von jeher idealen Nährboden für die Korruption. Es weist mehrere Merkmale auf, die der Entwicklung der Korruption förderlich sind, wenn keine Regulierung sie eindämmt: hohe Auftragsbeträge, Ermessensspielraum weniger Personen und technische Spezifikationen, die oft allerlei Manipulationen erlauben.

Die Korruption kann auf allen Stufen des Verfahrens vorkommen:

  1. Auf der Stufe der Bedarfsermittlung : der Bedarf an Gütern und Dienstleistungen, deren Anschaffung man in Betracht zieht, kann z.B. überbewertet werden oder gar nicht bestehen. Das Ziel der Anschaffung ist dann kein anderes als eine Gelegenheit für Bestechungszahlungen zu schaffen oder eine nahestehende Person oder einen politischen Freund zu begünstigen;
  2. Auf der Stufe der Vorbereitung der Auftrags : die Dokumentation kann so konzipiert werden, dass sie einen einzigen Anbieter begünstigt, z.B. indem nur die Produkte dieses Anbieters die gleich diese für die Qualität der Produkte nicht wesentlich sind;
  3. Auf der Stufe der Auswahl des Anbieters : Ein Anbieter kann sich die Gunst der Entscheidungsträger mit Schmiergeldern sichern, entweder z.B. um den Auftrag zu gewinnen oder um vertrauliche Informationen zu erhalten, die es ihm erlauben werden, seine Offerte den Offerten seiner Anbieter anzupassen;
  4. Auf der Stufe der Vertragsausführung : Der Anbieter besticht die Personen, welche die Umsetzung des Auftrags beaufsichtigen, z.B. um bestimmte erfüllen zu müssen oder um die Annahme der Güter oder der Dienstleistungen trotz wichtiger Mängeln zu erwirken;
  5. Auf der Stufe der Rechnungslegung : z.B. um die Auditoren zu bestechen, damit sie falsche Bestätigungen ausstellen.

Die Erfahrung zeigt, dass das Korruptionsrisiko in der Anfangsphase eines Auftrags am höchsten ist. Das Risiko nimmt zusätzlich zu, wenn der Auftrag dringend ist (z.B. im Falle von Beschaffungen am Ende des Budgetjahres oder bei Naturkatastrophen) oder wenn Transparenz auf den verschiedenen Stufen des Auftrags fehlt. Das Risiko wird durch die Verwendung einer Standarddokumentation, soweit der Auftrag es erlaubt, gemindert. Die Bestechung kann durch Übergabe eines Couverts erfolgen, wird aber eher subtilere Formen annehmen, z.B. eine Spende an eine politische Partei, Bezahlung von Ferien, Gegengeschäfte oder Beteiligung der Entscheidungsträger an der Gesellschaft, welcher der Auftrag zugeteilt werden soll.

Die Integritätspakte

Zur Vermeidung dieser Risiken genügt die Anwendung des Gesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen nicht. Es soll durch Sensibilisierungsmassnahmen und Schulungen für das Beschaffungspersonal verstärkt werden. Transparency International bietet auch Integritätspakte, in denen sich die an einem Projekt Beteiligten bzw. die öffentliche Hand und jeder Form der Bestechung oder von unzulässigen Absprachen im Vergabeverfahren und in der Ausführung des Auftrags zu enthalten. Ferner soll die Durchführung des Auftrags von einem externen unabhängigen Monitor überwacht werden.

Version française


Dieser Beitrag ist ebenfalls erschienen in "procure.ch" - Fachzeitschrift "Beschaffungsmanagement"

Autor dieses Beitrags: Jean-Pierre Méan

andere Themen, die interessieren könnten / autres thèmes